Tattoos, Selbstbewusstsein und Gesundheitsrisiken
Jeder fünfte Schweizer und jede fünfte Schweizerin besitzt mindestens eine Tätowierung. Bei der jüngeren Schweizer Bevölkerung liegt die Häufigkeit wesentlich höher: in dieser Gruppe ist jeder Zweite tätowiert. Doch nicht nur Tätowierungen sind seit Jahren im Trend. Körperschmuck, der in der Haut verankert ist (neben Tätowierungen sind das Piercings oder Schmucknarben, Implantate, Brandings, Sewings etc.) bezeichnet man als sogenannte Body Modifications. Body Modifications haben heute nicht mehr die frühere Bedeutung von Rebellion, sondern sind wesentlich gesellschaftstauglicher. In der Vergangenheit hatten Tätowierte den Ruf des kriminellen Außenseiters, heute gelten Tattoos als teuer und modern.
Neben Mode scheinen auch psychische Aspekte für den Tattoo-Boom mitverantwortlich zu sein. Studien belegen, dass sich insbesondere junge Menschen durch Body Modifications besser in die Peergroup integriert fühlen, Zusammenhalt sowie ein besseres Selbstwertgefühl und eine positivere Körperwahrnehmung empfinden. Des weiteren wird von Individualitätssteigerung, Selbstverwirklichung und Verbesserung der subjektiven Attraktivität berichtet. Auch bei Piercings zeigen Studien, dass sich Betroffene häufig dadurch selbstbewusster, attraktiver und kontaktfreudiger wahrnehmen. Weitere positive Motive für Körperkunst sind das Unterstreichen der Individualität, aber auch ein Symbolisieren von bedeutenden Ressourcen, Leidenschaften oder Lebenszielen.
Body-Modifications werden ausserdem gehäuft von emotional instabilen Personen, die zu selbstverletzenden Verhalten neigen, als Emotionsregulationsstrategie genutzt. Manche Betroffene berichten, dass sie selbstverletzendes Verhalten reduzieren oder einstellen konnten, seitdem sie sich piercen oder tätowieren liessen. Dies kann medizinisch insbesondere dann problematisch sein, wenn sich Betroffene selbst piercen oder tätowieren. Die Wahrscheinlichkeit medizinischer Komplikationen ist deutlich erhöht, wenn die Body-Modifications nicht von Fachpersonal durchgeführt wird.
Ein häufiges negatives Phänomen ist das mangelnde Wissen über mögliche negative medizinische Konsequenzen durch Body Modifications. Verletzungen der Haut bergen das Risiko von gesundheitlichen Problemen. Nicht selten treten Infektionen, traumatische Schäden oder Störungen des Hormonsystems auf. Befragungen zeigen, dass die meisten tätowierten oder gepiercten Personen völlig unzureichende Kenntnisse über typische gesundheitliche Folgen besitzen. Eine häufige Konsequenz sind allergische Reaktionen, die meistens erst nach Jahren auftreten und zu massiven medizinischen Eingriffen führen.
Zusammenfassend zeigt die vergangene Forschung ein uneindeutiges Bild: Einerseits häufen sich Publikationen, die auf diverse gesundheitliche Risiken hinweisen. Andererseits ist ersichtlich, dass es für Adoleszente wichtig sein kann, solchen Trends zu folgen, sich von Erwachsenen abzugrenzen und Zusammenhalt in einer Peergroup zu erfahren. Jugendliche, die den Wunsch nach Body-Modifications haben, sollten objektiv über gesundheitliche Risiken informiert werden, um die medizinische Versorgung zu verbessern.
Literatur:
Kasten, Erich & Zeiler, Nina (2017). Machen Tattoos selbstbewusst? Psychische und medizinische Aspekte von Body-Modifications. Psychotherapie im Dialog, 2, 2017.
Dr. phil. Dipl. Psych. Melanie Braun