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Die Grundbedürfnisse nach Klaus Grawe bei Kindern und Jugendlichen: Das Bedürfnis nach Selbstwert (4/4)

Wir alle werden in unserem Alltag von Bedürfnissen geleitet. Wir streben danach Bedürfnisse zu befriedigen – positive Erfahrungen herbeizuführen und unangenehme Dinge von uns fern zu halten.

Klaus Grawe postulierte im Rahmen seiner Arbeiten vier Grundbedürfnisse, welche empirisch sehr gut validiert sind. Es handelt sich um das Bedürfnis nach Lust & Unlust, Bindung, Orientierung & Kontrolle und dem Bedürfnis nach Selbstwerterhöhung & Selbstwertschutz.

Für unser psychisch und physisches Wohlbefinden ist es unumgänglich, dass unsere Grundbedürfnisse erfüllt werden.
Dies gilt sowohl für Erwachsene als eben auch für Kinder und Jugendliche. Gerade Kinder sind in der Befriedigung ihrer Bedürfnisse noch sehr auf Erwachsene angewiesen. Aus diesem Grund scheint es sehr wichtig, dass Eltern, Betreuungspersonen, Therapeuten oder Leute, welche sich mit Kindern auseinandersetzen, ein Bewusstsein für wichtige Bedürfnisse haben und sich dieser annehmen.

Vor einiger Zeit konnten Sie einen Blogbeitrag zum Bedürfnis nach Lust/Unlust zum Bedürfnis nach Bindung sowie zum Bedürfnis nach Kontrolle bei Kindern und Jugendlichen finden. Der heutige Blogbeitrag setzt sich nun mit dem Bedürfnis nach dem Selbstwertschutz und der Selbstwerterhöhung auseinander.

“Peoplewant to feel good about themselves. They want to believe that they are competent, worthy, and loved by others. This desire for self-enhancement is regarded as so fundemantal to human functionning that it was dubbed the ‚master sentiment‘“ by William McDougall (1932).

Jeder Mensch trägt in sich den Wunsch als „gut“ wahrgenommen zu werden. Auch das Bedürfnis nach Selbstwert ist ein Grundbedürfnis, dass wir alle in uns tragen. Einerseits wollen wir uns diesem annähern und unseren Selbstwerte erhöhen, andererseits wollen wir Selbstwertverletzungen von uns fernhalten, also vermeiden.

Die Entwicklung des Selbstwertes ist stark mit dem Bindungsbedürfnis gekoppelt, was auch oft in Therapien beobachtbar ist. Aufgrund der «einfachen» Denkwelt von Kindern, hängen Beziehungserfahrungen eng mit dem Selbstwert zusammen (Sullivan, 1953): Werden Grundbedürfnisse nicht oder sehr unzureichend durch die Bezugsperson befriedigt, bedeutet dies für das Kind entweder “ich bin gut und Mama/Papa ist schlecht“ oder „Mama/Papa ist gut und ich bin schlecht“. Da Kinder jedoch vollumfänglich von ihrer Bezugsperson abhängig sind, ist oftmals die letztere Bewertung für sie in dem Moment günstiger. Lieber bewerte ich mich als schlecht und habe dafür eine Bezugsperson, als dass ich auf mich alleine gestellt bin. So prägen bereits die ersten Bindungserfahrungen unseren Selbstwert – wir fühlen uns wertvoll, wenn um uns gekümmert wird. Dies ist ja auch im späteren Leben oft der Fall.

Wertschätzung seitens der Eltern, also den Wert des Kindes zu schätzen wissen, befriedigt das Bedürfnis nach Selbstwerterhöhung. Hingegen frustrieren ständige Kritik, Abwertungen oder Beschimpfungen dieses Bedürfnis. Hierbei unterscheiden wir Erwachsenen uns ja auch nicht von den Kindern: Wer möchte in einer Beziehung stehen, die von Abwertung und Kritik geprägt ist. Irgendwann entsteht hier der Impuls sich selber zu schützen und auf Distanz zu gehen. Wie bereits erwähnt können dies Kinder aufgrund ihrer Abhängigkeit jedoch nicht. Besonders beeinträchtigt ist das Bedürfnis nach Selbstwerterhöhung und -schutz natürlich bei Misshandlung und Missbrauch, da hier noch eine viel massivere Entwertung stattfindet.

Wir werden gesellschaftlich geprägt unseren Wert von unserer Umwelt abhängig zu machen. Wir vergleichen uns, um einschätzen zu können wo wir stehen und wie viel Wert wir haben. In Studienkonnte gezeigt werden, dass sich psychisch gesunde Menschen mit Erfahrungen auseinandersetzen, in welchen sie sich als überdurchschnittlich gut erlebt haben. Hingegen hängen negative Selbsteinschätzungen mit psychischen Problemen zusammen. So ist dies oftmals Teil der Symptomatik bei depressiven oder sozial unsicheren Patienten: Wir haben das Gefühl weniger gut als andere zu sein und werten uns selber innerlich noch weiter ab.

Wünschenswert wäre es natürlich, dass wir unseren Selbstwert nicht von anderen abhängig machen. Und dies wäre vielleicht eine der wertvollsten Botschaften, welche dem Kind mitgegeben werden kann: Dem Gefühl der bedingungslosen Liebe. Ich liebe dich genau so wie du bist, egal was du machst. Gerade aufgrund eigener persönlicher Erfahrungen, ist dies jedoch gar nicht so einfach.

Natürlich liegen aber nicht alle Selbstwertproblematiken in den ersten Beziehungserfahrungen! Auch bei einem ursprünglich gut befriedigten Bedürfnis nach Bindung und Selbstwert kann sich eine ungünstige Dynamik entwickeln. Nicht selten ist es so, dass Kinder – und auch wir Erwachsenen – im Verlaufe des Lebens auf ungünstige Strategien zum Selbstwertschutz zurückgreifen.

So kann beispielsweise aggressives Verhalten bei Kindern und Jugendlichen oft als Resultat vieler selbstwertverletzenden Erfahrungen gesehen werden. Sie zeigen Aggressionen, um sich selber zu schützen oder aber auch, um den Selbstwert über Macht und Dominanz aufzubauen.

Auch Schulverweigerung kann als selbstwertschützendes Verhalten verstanden werden, wenn Kindern viele frustrierende Erfahrungen in der Schule machen. Entwickelt ein Kind die Vorstellung, dass es zu blöde für den Unterricht ist, merkt es, dass es etwas einfach nicht begreifen kann oder wird es gar aktiv ausgelacht oder gemobbt, ist das zu Hause bleiben oftmals der einzige Weg den Selbstwert zu stabilisieren.

Vielleicht verdeutlicht dieser Blogbeitrag wie wichtig es ist in Beziehung zum Kind und seinen Bedürfnissen zu stehen. Vielleicht erklärt er aber auch, weshalb wir unseren eigenen Wert so oft von anderen Menschen abhängig machen.

Doch am wichtigsten ist: Eigentlich ist jeder Mensch einzigartig und wertvoll und es wäre wunderbar, würden wir diese Einzigartigkeit in jedem Menschen erkennen, auch in uns selber.

Literatur:

Borg-Laufs, M. (2012). Die Befriedigung psychischer Grundbedürfnisse als Weg und Ziel der Kinder- und Jugendpsychotherapie. Forum für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie (S. 6-19).

Grawe, K. (2002). Psychologische Therapie. Göttingen: Hogrefe.

Grawe, K. (2004). Neuropsychotherapie. Göttingen: Hogrefe.

McDougall, W. (1932). The energies of men. London: Methuen.

Sullivan, H. S. (1953). The interpersonal theory of psychiatry. New York: Norton Press.

Thimm, K. (2000). Schulverweigerung. Zur Begründung eines neuen Verhältnisses von Sozialpädagogik und Schule. Münster: Votum.

Lic. phil. Nusa Sager-Sokolic